Uber die Existenz von Werkszeichnungen bei Fokker
An dieser Stelle des Buches mochten wir gerne mit einer weitverbreiteten Vorstellung aufraumen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte regelmiiftig neu aufpolliert den Lesern von Artikeln und Biichern vorgekaut wurde. Es steht don in verschiedenen Schriften von unterschiedlichen Autoren, aber mit fast demselben Wortlaut folgendes beziiglich der Lizenzfertigung des Fokker D. VII bei Albatros geschneben: "Die erste Uberraschung brachte jedoch die Tatsache, dafl im Stammwerk Fokkers keme Zeichnungen der D. VII mrnerten, von denen man Pausen herstellen konnte, die Grundlagen eines Nachbaues. Reinhold Platz hatte nie Zeichnungen herstellen lassen, er entwarf jedes Flugzeug auf Millimeterpapier im Mafistab 1:100, und in der Praxis burden danach die Grundmafie direkt auf das zu verarbeitende Material zum Zuschmtt iibertragen. In anderen [22] [23]
Werken и. urden Flugzeuge entivorfen, indem man sie mit Kreide auf die Wande und Fufiboden zeichnete und die Mafie direkt mit einem Zollstock abnahm. "’)
Wie absurd und abwegig diese Darstellung ist, diirfte doch jedem klar sein. Man stelle sich nur einmal ein Flugzeug – nehmen wir den Dr. I – mit einer Rumpflange von 5.77m vor. Teilt man das jetzt durch 100, so erhalt man eine Lange von 0,0577m. Oder anders gesagt 5,77 cm. Wer soil denn hiernach ein ganzes Flugzeug bauen? Geschweige denn Kleinteile wie Rippen oder gar Beschlage! Abgesehen hiervon existieren noch geniigend Fokker-Werkszeichnungen von unterschiedlichen Flugzeugen[24] [25]). Wenn man also nicht davon ausgeht, dafi diese Zeichnungen alle im nachhinein angefertigt wurden und damit Falschungen sind, laBt sich die oben zitierte Behauptung, es wurden nie Werkszeichnungen angefertigt, iiberhaupt nicht halten. Und Flugzeuge im MaBstab 1:1 mit Kreide auf die Wand zu malen hat ebenso wemg Sinn wie ein Flugzeug im MaBstab 1:100 auf Millimeterpapier zu skizzieren. Zumal einige der Prototypen parallel zueinander in Serie aufgelegt wurden. Die Wande und FuBboden der Werkhallen waren also bald sehr uniibersichtlich mit Flugzeugen vollgemalt gewesen.
Dieser Irrglaube kam vermutlich durch den groben Abschreibfehler eines Autors zustande, der dann im Laufe der Zeit immer haufiger abgeschrieben wurde und dadurch seine Verbreitung erfuhr. In einem Interview beschrieb Reinhold Platz die Vorgehensweise bei der Entwicklung neuer Typen. Er erzahlte, daB zunachst die Umrisse eines neuen Flugzeugs im MaBstab 1:10 auf Millimeterpapier gezeichnet und dann die Lagen von Motor, Bewaffnung und Pilotensitz festgelegt wurden. Nach erfolgter Schatzung des Rumpfgewichtes wurde dann der Schwerpunkt ermittelt und die Fliigellage eingezeichnet. Wenn notwendig, dann konnte die Lange des Rumpfes geandert werden, um die Schwerpunktlage zu korrigieren. Fur die Rumpflange wurde schon bald ein Erfahrungswert ermittelt. Dieser entsprach 2,25 x die Tiefe der Tragflache und bezog sich auf den Abstand zwischen den Leitwerksachsen und dem Schwerpunkt des Flugzeuges. Wenn das getan war, wurde als nachstes das gesamte Leitwerk eingezeichnet und die Lage des Fleckspornes bestimmt. Danach wurde unter die Seitenansicht die Draufsicht der Maschine projiziert und die Starke der Stahlrohre im Rumpf ermittelt0. Auch zum Thema der Werkszeichnungen bei Fokker existiert noch eine schriftliche Uberlieferung von Reinhold Platz selbst. Er notierte ’: "Ich glau. be nicht, daj? Fokker je fachliche Zeichnungen angefertigt hat, dafi er verstand, sie zu lesen, mochte ich nicht beztveifeln. Bei Vorlage und Erklarung meiner Projekte undSkizzen verstanden imr uns gut und schnell.
Zunftige Werkszeichnungen habe ich ilbrigens selbst auch nicht gemachu Nach mafihaltigen genauen Skizzen auf Millimeterpapier und nach den fertigen Musterflugzeugen nurden erst Fabrikationszeichnungen im Zeichenbiiro hergestellt."
Nach dieser Aussage kann es wohl zutreffen, daB, als die Lizenzfertigung der D. VII bei Albatros anlaufen sollte noch keine wahren Fabrikationszeichnungen existierten, da das Flugzeug, das aus dem Vergleichsfliegen als Sieger hervorging, tatsachlich ein solches Musterflugzeug, wie sie als Einzelstiicke im Entwicklungsbiiro nach solchen maBhaltigen genauen Skizzen angefertigt wurden, war.