A. Die Geschichte des A. H. G. Fokker und seiner Firma 1890 – 1920. I. Die Entstehung der Fokker Aeroplanbau G. m. b. H. bis Ende 1913

1. Fokkers Kindheit und sein Weg nacb Deutschland

Anthony Herman Gerard Fokker, erblickte am 06.April 1890 in Kediri auf der Insel Java im heutigen Indonesien das Licht der Welt’). Dort verbrachte er zusammen mit seiner Familie die ersten vier Lebensjahre. Sein Vater, Herman Fokker, hatte auf Java, im damaligen Hollondisch-Indien, eine Kaffeeplantage betrieben. Mit dem Beginn des vierten Lebensjahres des Jungen mufiten Herman Fokker und seine Frau Anna Fokker die Frage nach der weiteren Bildung ihrer Kinder, fernab der Heimat, klaren. Sie entschieden sich dazu, sich zur Ruhe zu setzen und in ihre Heimatstadt, nach Haarlem in Holland, zuriickzukehren.

Im August 1894 lief? sich die Familie Fokker dort nieder. In Haarlem wurde Anthonys Vater geboren. Er selbst besuchte hier nun die Grund – und dann die hohere Schule zu Haarlem.

Das schulische Lernen interessierte ihn weitaus weniger als seine personlichen Interessen. Seine Leistungen waren zwar nicht schlecht2), aber dennoch befaftte er sich lieber mit anderen Dingen. Unter anderem erfand er in dieser Zeit das "federnde" Rad, ein vielversprechender Ersatz fur Auto – und Wagenreifen, welcher ohne Luftschlauch arbeitete und daher nicht "plan" werden konnte. Zusammen mit seinem SchulfreundEntz Cremer und mit Hilfe ihrer Vater wollten die beiden jungen Manner diese Erfindung umsetzen und zum Patent anmelden. Hierauf wollte er sich ganz konzentrieren und in der Zukunft als Erfinder sein Geld verdienen. Es lag ihm fern, noch liinger die Schulbank zu driicken und so beendete er die schulische Laufbahn im Jahr 1908.

Die Vater der beiden wurden von ihren Sohnen fur die Idee des "federnden" Rades begeistert, und die wohlhabenden Manner beauftragten einen Rechtsanwalt damit, fur die Patentrechte zu sorgen. Nach einigen Nachforschungen stellte sich heraus, daft es bereits eine ahnliche Gebrauchsmuster-Eintragung.

1908 wurde wahrend eines Besuches einer Automobilschau in Brussel Anthonys Interesse Begeisterung fur die Luftfahrt derart angeregt, daft er beschloft, sein weiteres Schaffen in die Bahnen der noch jungen Luftfahrt zu richten. Dort sah er zum ersten Mai ein Latham Flugzeug aus der Nahe. Er experimentierte zuhause in seinem Dachzimmer in Haarlem mit Flugzeugmodellen aus einfachen Materialien wie Papier und Zelluloid. Er versuchte unterschiedliche Fliigelformen und warf die Modelle aus dem Fenster seines Zimmers, um ihr jeweiliges Verhalten im Fluge zu beobachten. Schon wahrend dieser Versuche fand er heraus, daft das Problem der Eigenstabilitat eines Flugapparates dadurch zu losen sei, indem man es mit einer hohen Schwerpunktlage und pfeilformigen Fliigeln in V-Stellung versah. Genau dies wurde sparer mit der Fokker "Spinne" verwirklicht. Er entwarf dann sogar einen manntragenden Drachen, der allerdings nie gebaut wurde, da er zuvor seine Einberufung zum Militardienst erhielt. Er mufite zur 9.Kompanie des 2.Regiments der Garrison Artillerie in Naarden. Hier blieb der junge Mann aber nicht lange. Schon wahrend den ersten Untersuchungen und wenigen Tagen seines Dienstes, versuchte er durch die Simulation von Plattftifien ausgemustert zu werden, was aber nicht gelang. Anschlieftend sprang er absichtlich so auf einen Straftenbahnwagen, daft er sich den Knochel verletzte und blieb dort jammernd so lange liegen, bis er von mitfiihlenden Menschen in ein krankenhaus gebracht wurde. Dort sagte er dem Arzt, es sei ihm 100 Gulden wert aus dem Militardienst zu kommen. Kurz darauf wurde er ausgemustert3).

Sein Vater war nicht gliicklich dariiber, daft er nicht die militarische Laufbahn als zukiinftigen Lebensweg gewahlt hatte. Fur ihn und die iibrigen Familienangehorigen stellte sich nun die Frage, wie es mit ihm weitergehen sollte.

D. L.V.: Flugschein Nr. SS, 7.Juni 1911. Standesamt Haarlem: Heiratsurkunde zwischen A. H.G. Fokker und Sophie Mane Elisabeth von Morgen, 1918. Inv. Nummern 33 und 29, Akte Fok. allg. l.

2) Zeugnisse der "Hogeren Biirgershool te Haarlem" aus den Jahren 1904/05. Inv. Nr.31, Akte Fok. allg. l.

Fokker: DerfliegendcHollander, 1933.

Fiir Anthony Fokker stellte all das keine Frage dar. Er wufite, was er wollteund war iiberzeugt, dafi er seinen Weg machen wird. Da er noch zu seiner Schulzeit lieber bastelte, konnte er auf grofie Fertigkeiten in der Bearbeitung von Holz und auch Metall zuriickgreifen. Mit diesem Wissen, so meinte er, wiirde er jederzeit Arbeit finden. Aber am Ende setzte sich sein Vater durch und brachte ihn dazu, das zu tun, was er fiir seinen Sohn als richtig ansah.

Herman Fokker sandte seinen Sohn nach Bingen in Deutschland, damit er dort an einem Lehrgang fur den Automobilbau teilnehmen sollte. Miirrisch und von Heimweh geplagt sah Anthony Fokker wieder einmal den oden Unterrichtsalltag einer Schule vor sich, als er im Jahr 1910 den Weg nach Bingen antrat urn die technische Schule der Stadt zu besuchen. Diese war dafiir bekannt, hervorragende Techniker auszubilden. An der Schule war ihm noch nie sonderlich viel gelegen, und noch weniger jetzt. Seine Ambitionen lagen auf dem Feld der praktischen Arbeit, wie dem Arbeiten an Autos und Motoren. Die Tristigkeit eines Klassenzimmers konnte er nur schwer ertragen. Das theoretische Arbeiten wurde von ihm verabscheut und er fand es sinnvoller, anhand von Versuchen an das gewiinschte Ziel zu gelangen, als mit langwierigen Rechnereien und dem Studieren von mechanischen Gesetzmafiigkeiten wertvolle Zeit zu vergeuden. Und hatte man ihm nicht erzahlt er wiirde in Bingen die Moglichkeit haben praktisch zu lernen und nicht allein theoretisch studieren zu miissen, so hatte er wohl nie nachgegeben und zugestimmt Techniker zu werden ).

In Bingen hatte er recht bald sein Heimweh iiberwunden und begann auf eigenen Fiifien zu stehen. Nachdem sich der, durch einen wunderschon aufgemachten Prospekt, angebotene Automobilkurs als unzureichend und schlecht vorbereitet herausgestellt hatte, verfafke Anthony einen Brief an seine Mutter. Er schrieb, dafi der gesamte Werbeprospekt Humbug sei und es reine Geldverschwendung ware hieran teilzunehmen. Reparaturarbeiten an den Autos wiirden in der Bingener Werkstatt iiberhaupt nicht durchgefiihrt und das einzige was gelehrt werde, sei Autofahren. Er erfuhr, daft in Zahlbach ein Lehrgang fiir Aviatik von der ersten deutschen Automobil-Fachschule angeboten wurde und begann sich sehr dafiir zu interessieren. Hermann Fokker hielt nicht viel von der Begeisterung seines Sprofilings fiir die noch recht junge Luftfahrt. Er gab dann aber doch nach und gestattete seinem Sohn die Teilnahme an diesem Kursus).